Mobijingle für die Demo gegen das neue Polizeigesetz in BaWü am 13.7.2019 in Stuttgart.
Interview mit Vertreter vom Demo-Bündnis zum Polizeigesetz und der Demo
Worum geht es?
In fast allen deutschen Bundesländern planen die Landesregierungen eine Verschärfung der Polizeigesetze. Damit gefährden sie Demokratie und Rechtsstaat – Mit Staatstrojanern, mehr Videoüberwachung, militärischen Waffen und einer gefährlichen Verlagerung der Polizeiarbeit weit ins Vorfeld einer Gefahr.
Alle Landesregierungen, mit Ausnahme Thüringens, arbeiten derzeit an einer Aufrüstung der Exekutive oder haben diese bereits beschlossen. Auf der politischen Agenda stehen unter anderem:
- der polizeiliche Einsatz von Maschinengewehren und Handgranaten
- die Ausnutzung statt Schließung von Computer-Sicherheitslücken (Staatstrojaner)
- Ausweitung der Kommunikations- und Videoüberwachung
- mehr Macht für Geheimdienste, trotz des nicht aufgeklärten NSU-Skandals.
Einige Ländergesetze drohen sogar, die Unschuldsvermutung auszuhebeln: Mit dem Begriff der „drohenden Gefahr“ sollen Zwangsmaßnahmen gegen Menschen möglich gemacht werden, noch bevor ein konkreter Verdacht gegen sie besteht. Das ist ein gefährlicher Schritt weg von der Demokratie, hin zum autoritären Staat.
Chronologie der Verschärfung der Polizeigesetze
50er Jahre: Aufbau des Bundesgrenzschutzes als paramilitärische Organisation (zur Sicherung der Ost-grenzen)
Nach Wiedervereinigung 1990 und Abbau der Grenzkontrollen in der EU neue Tätigkeitsfelder und Übernahme der Bahnpolizei. Einsatz an Grenzen, Bahnhöfen und Flughäfen. Umbenennung 2005 in Bundespolizei.
1975 Änderung aller westdeutschen Landespolizeigesetze zur Einführung verdachtsunabhängiger Kontrollen an „gefährlichen“ oder „kriminalitätsbelasteten Orten“
Kontroverse Debatte um den „finalen Rettungsschuss“
1986 Musterentwurf zur rechtlichen Absicherung der polizeilichen Praktiken bei der Erhebung, Speicherung und Übermittlung von Daten, die nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts ohne rechtliche Grundlagen da standen. Legalisierung von langfristiger Observation und Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern.
In den Folgejahren neue Befugnisse zur Schleierfahndung, Videoüberwachung, Großer Lauschangriff – also polizeiliche Tätigkeit weit im Vorfeld der „Abwehr konkreter Gefahren“, der traditionellen Klausel, die verhindern soll, das die Polizei immer und überall und gegen wen auch immer vorgeht.
April 2017 Verabschiedung des neuen BKA Gesetzes
in „Anpassung an die EU-DSGVO“
Urteil des BVerfG zum BKA-Gesetz
„Bereits 2008 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Ermittler im Einzelfall bei drohender Gefahr für ein “überragend wichtiges Rechtsgut” tätig werden könnten. Dies gelte, “selbst wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt.“ Sie müsse aber ihrer „Art nach konkretisiert und zeitlich absehbar“ sein.“
20. April 2016 Neue Befugnisse für das BKA zur Terrorbekämpfung teilweise verfassungswidrig
30.Mai.2017 Neufassung §113 und §114 StGB
Jegliche Gegenwehr gegen Polizeimaßnahmen und Verhaftungen, ja schon das „Schubsen“ von Beamt*innen wird mit mindestens 3 Monaten Haft bestraft.
21.Juni.2018 Änderung des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes in Rheinland-Pfalz
15. November 2017 Verabschiedung des neuen PolG Baden-Württemberg (Drucksache 16/3011)
- Einsatz von „Staatstrojanern“
- Einsatz von Handgranaten, Granatwerfern und Sprengstoff auch gegen Personen
- „intelligente“ Videoüberwachung zur Erkennung von Verhaltensmustern
- Aufenthalts- und Kontaktverbote für sog. Gefährder*innen
- elektronische Fußfesseln zur Überwachung dieser Maßnahmen
Zitat Ministerpräsident Kretschmann „Wir gehen an die Grenze des verfassungsmäßig Machbaren“
Feb 2018 Koalitionsvertrag CDU,CSU, SPD : Erarbeitung eines gemeinsamem Musterpolizeigesetzes
März 2018 Verschärfung des Polizeigesetzes in Mecklenburg-Vorpommern.
- Einsatz von elektronischen Fußfesseln und Aufenthaltsanordnungen bis zu drei Monaten für sog. Gefärder*innen
- Einsatz von Bodycams
25.Mai 2018 Inkrafttreten des PAG Bayern, das auch als Musterpolizeigesetz gilt.
“Dass jemand drei Monate in Polizeigewahrsam genommen werden könnte, wird in anderen Bundesländern nicht als notwendig erachtet. Daher sollte man mit einer solchen Regelung nicht für öffentlichen Zündstoff sorgen. Auch sind Bedenken gerechtfertigt, wenn künftig schwerwiegende Eingriffe nicht erst bei einer konkreten, sondern bereits bei einer drohenden Gefahr ermöglicht werden. Den Begriff der drohenden Gefahr hat das Bundesverfassungsgericht selbst für die Bekämpfung des Terrorismus geschaffen. Es hatte dabei sicherlich nicht eine Ausweitung auf andere Gefahrenlagen im Sinn”, betonte der Chef der Polizeigewerkschaft GdP.
21.Juni 2018 Hessische Neufassung Polizei und Verfassungsschutzgesetz (HSOG)
Nicht erst mit der geplanten Verschärfung, sondern bereits im momentan geltenden Polizeigesetz liegen die Einsatzschwellen für diverse Maßnahmen, durch die grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt werden, sehr niedrig. Diese Maßnahmen können praktisch jede*n treffen, da die Polizei zunehmend präventiv, also ohne konkreten Verdacht, tätig wird.
Oktober 2018 Innenminister Strobl (CDU, Baden-Württemberg) plant weitere Verschärfungen des Polizeigesetzes in Ba-Wü:
- präventive Onlinedurchsuchung auf Computern und Smartphones bei „Gefährder*innen“
- Gefährder*innen-Gewahrsam bis zu drei Monaten (bislang 14 Tage)
- DNA-Analyse zur Verhinderung von Straftaten
- Bodycam-Einsatz im Innenbereich (Privatwohnungen, Gaststätten, Diskos) ohne richterliche Zustimmung
- umfassende Personenkontrollen im Vorfeld von Demonstrationen
- Schleierfahndung (anlassfreie Kontrolle) bis zu 30km vom Grenzgebiet entfernt (das trifft ganze Städte wie Freiburg, Konstanz, Baden-Baden und Karlsruhe)
12.Dezember 2018 neues Polizeigesetz NRW
13.März 2019 Verabschiedung des Brandenburgischen Polizeigesetzes BbgPolG, weitere Verschärfungen sind geplant
In anderen Bundesländern stehen Verschärfungen bald an (z.B. Sachsen) oder sind in Vorbereitung.#
Dez. 2019
Einigung im Koalitionsausschuss Baden-Württemberg zur neuerlichen Verschärfung des PolG BW, mitten im Weihnachtstrubel.
März 2020
Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs, auf über 150 Seiten plus zusätzlich der gleichen Menge Text als Gesetzesbegründung.
22. April 2020
Ende der Kommentarmöglichkeit im Bürgerbeteiligungsportal zum Gesetzesvorhaben.
25.06.2020 Geplante erste Lesung im Landtag
15.07.2020 Geplante zweite Lesung im Landtag
